Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu. Die vergangenen Monate haben uns allen viel abverlangt. Ein winziges Virus ist in unseren Köpfen omnipräsent. Es stellt die Welt auf den Kopf, durchkreuzt Pläne, entlarvt Gewissheiten und fordert uns im Umgang miteinander.
Aber wo Schatten ist, ist bekanntlich auch Licht. In der Pandemie will das Prinzip Hoffnung genährt sein. Im Lockdown wurde der Himmel plötzlich wieder blau und wir lasen von Delphinen, die in Venedig aufgetaucht sein sollen. Bekommt die Natur eine Verschnaufpause? Kehren Tiere zurück, wenn der Mensch sich zurückzieht? Was macht COVID mit dem Meer?
Als Segler ist diese Frage besonders interessant für uns – denn wir lieben es, auf dem Meer zu sein und freuen uns, wenn wir auf unserem Törn zahlreichen Meeresbewohnern begegnen. The Moorings setzt sich gemeinsam mit der internationalen Meeresschutzorganisation OceanCare dafür ein, ein stärkeres Bewusstsein für Meeres- und Artenschutz zu schaffen und konkrete Maßnahmen umzusetzen. Lesen Sie unten den Blog von Vera Bürgi, Co-Geschäftsleiterin bei OceanCare, über die Folgen von COVID-19 auf die Meere und ihre Bewohner.
Faktencheck: Delphine erholen sich
Im Lockdown zelebrierten die Medien, Delphine würden sich erholen und an Orten auftauchen, wo sie lange nicht mehr zu sehen waren, eben etwa in den Kanälen von Venedig. Diese Geschichte gehört jedoch ins Reich der Märchen. Die Delphine um Venedig werden seit Jahrzehnten von Dr. Giovanni Bearzi erforscht. Während des Lockdowns sichtete er dort nicht mehr Delphine als zuvor. Ein Video, das die Rückkehr der Delphine in Venedig belegen sollte, war zudem im Süden Sardiniens aufgenommen worden.
Und was ist gemeint mit der Erholung? Delphine erholen sich, wenn ihre Bestände wachsen. Das ist einerseits innerhalb weniger Monate biologisch unmöglich, andererseits geschieht es auch nur, wenn die Lebensgrundlagen es zulassen. Und die tun dies in der nördlichen Adria nicht. Sie ist eine der überfischtesten Regionen der Welt, wo immer noch die besonders schädlichen Grundschleppnetze eingesetzt werden. Nach der Lockdown-Zwangspause lief die Fischerei denn auch wieder auf Hochtouren. In der nördlichen Adria finden Delphine fast keine Nahrung mehr. Für grössere Bestände fehlen schlicht die Fische. Dr. Bearzi und OceanCare setzen sich intensiv dafür ein, dass den Delphinen das Recht auf Nahrung zugestanden wird.
Tatsache ist also, die Delphine haben sich während des Lockdowns nicht erholen können. Dafür war die Zeit zu kurz. Sie konnten lediglich kurz verschnaufen. Hier der detaillierte Faktencheck.
Grund zur Sorge: Was uns schützt, schadet dem Meer
Die Weltnaturschutzunion (IUCN) hat eben einen Bericht zur Plastikverschmutzung des Mittelmeers publiziert. Die Plastikmenge darin wird auf 1’178’000 Tonnen geschätzt, wovon der Löwenanteil, nämlich 1’175’700 Tonnen als Mikroplastik auf dem Meeresgrund liegt! Jährlich gelangen weitere 229’000 Tonnen Plastik ins Mittelmeer. Das ist der Inhalt von mehr als 500 Schiffscontainern pro Tag. Dieser Wert dürfte sich bis 2040 verdoppeln, wenn nicht konsequent Gegensteuer gegeben wird. Etwa indem die Plastikproduktion gedrosselt wird, die Mittelmeer-Anrainerstaaten umweltschonendes Abfallmanagement zur Pflicht machen, ein Verbot von Einwegplastik in Kraft tritt und Küsten und Strände konsequent gesäubert werden.
In diesen erschreckenden Zahlen nicht eingerechnet sind die Masken, die seit Ausbruch der Pandemie ins Meer gespült werden. Geschätzt sind es rund zehn Millionen Einwegmasken, die das Meer nun Monat für Monat zusätzlich schlucken muss und die bis zu 450 Jahre darin verbleiben.
Ein Lichtblick: Bewegen wir uns weniger, atmen die Meeresbewohner auf
Kommen wir zum Unterwasserlärm. Anders als Plastikmüll ist die Lärmverschmutzung der Meere für uns Menschen kaum wahrnehmbar. Weil sich das Licht bereits knapp unter der Meeresoberfläche verabschiedet, ist das Meer ein primär akustischer Lebensraum – in dem es immer lauter wird. Eine Lärmquelle sind die Schiffe. Deren konstante Schallemissionen generieren unter Wasser eine Art akustischer Dauernebel. Je grösser und schneller ein Schiff ist, desto lauter ist es auch. Über die Hälfte des Lärms im Meer wird von gerade einmal 15 Prozent der Schiffe verursacht.
Was hat COVID hier bewirkt? Seit Ausbruch der Pandemie legen in EU-Häfen etwa 15 Prozent weniger Passagierschiffe und Fähren an. Die Transportschifffahrt ging weltweit zwischen 30 und 50 Prozent zurück. Was für den Handel folgenschwere Konsequenzen hat, war temporär ein Lichtblick für die Meeresbewohner. Als die Schifffahrt in den USA nach 9/11 vorübergehend eingestellt wurde, ging der Lärmpegel unter Wasser örtlich um ein Viertel zurück. Damals belegten Wissenschaftler, dass während dieser Zeit die Stresshormone in Glattwal-Kotproben deutlich reduziert waren. Stress an Land senkt also den Stress unter Wasser. Mehr dazu im Video-Blog von Nicolas Entrup.
COVID zwingt den Menschen in den Rückzug. Das nimmt kurzfristig etwas Druck weg vom Meer, reicht aber bei weitem nicht, um dieses im notwendigen Mass zu entlasten. Dafür braucht es international verbindliche Massnahmen, die das Verhalten von uns Menschen langfristig korrigieren. Dafür engagiert sich OceanCare. So fordern wir etwa, dass die globale Schiffsflotte zehn Prozent langsamer fahren muss. Denn damit würde der Unterwasserlärm dauerhaft um 40 Prozent gesenkt, die Treibhausemissionen um 13 Prozent und zusätzlich würden rund die Hälfte aller Kollisionen von Schiffen mit Walen vermieden. Macht doch Sinn, oder? Es wäre eine Massnahme für ein friedliches Nebeneinander von Menschen und Meeresbewohnern.
Segler sind Botschafter der Meere: Ihr Engagement zählt
Sie können auch während der Pandemie etwas für das Meer und seine Bewohner tun:
- Werden Sie Mitglied von OceanCare und helfen Sie, die Meere zu schützen!
- Verzichten Sie auf den Konsum von Meeresfischen. Die Delphine danken es Ihnen.
- Einweg ade. Mittlerweile gibt es Mehrwegmasken, die Viren auf Abstand halten.
Schön, wenn ein Funke Meeresschutz auf Sie übergesprungen ist.
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Beitrag von
Antonia Krauss
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